Der untenstehende Artikel von Hilde Meisel erschien in der Sozialistische Warte, Jg. 13. 1938, Nr.26 (01.07.1938) S. 603 - 609 unter dem Namen Hilde Monte Entnommen ist er dem Archiv der Sozialistischen Warte auf http://deposit.ddb.de/online/exil/exil.htm Hilde Monte: Die wirfschaftliche Unabhängigkeit der C5R. Eine Bedingung für den Frieden in Europa. Am 23. April 1931 sagte Eduard Benesch im tschechischen Parlament, in einer Rede über den Plan der deutsch-österreichischen Zollunion: « . . . die heutigen Politiker Deutschlands können uns . . . beim besten Willen keine Garantien für die künftigen Politiker geben. Als tschechoslowakischer Minister habe ich die Pflicht, daran zu denken, und die noch grössere Pflicht, darauf aufmerksam zu machen. . . . Die Bedrohung unserer wirtschaftlichen Existenz und der wirtschaftliche Druck Deutschlands auf die östlichen Staaten würde diese auch zu einer wirtschaftlichen Einheit nötigen. Für uns würde dies einfach bedeuten, uns wirt- — schaftlich umzurichten. ... Wir müssen uns anderswohin wenden, nämlich nach Osten und nach Süden. Es wäre dies ein schmerzlicher Prozess, der jedoch nicht bloss seine Nachteile hätte, sondern auch manch grossen und unzweifelhaften Vorteil brächte. Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet, wir haben alles durchdacht, wir wissen, was wir wollen, wir haben unsere Linie und werden unsere Politik sachlich, ruhig, aber entschieden und konsequent verteidigen. Wir haben keinen Grund, alarmiert zu sein. Im Gegenteil: ich glaube, dass gerade die gegenwärtige Krise erst Deutschland, Oesterreich, uns und dem ganzen übrigen Europa^ zeigen wird, was man in diesen Dingen tun kann und was man nicht tun kann, und wie die europäische Wirtschaftskrise gelöst werden soll. So wird es schliesslich möglich sein, diesen ganzen Konflikt und die Erregung Europas zum Guten zu wenden, was ich tatsächlich ohne alle Prestigeerwägungen von Herzen wünsche. Es wird wenigstens Deutschland die Genugtuung oder das Verdienst haben, dass Europa sich seiner Pflicht in der Arbeit für alle Völker und für den Frieden bewusst geworden ist.» Nicht einmal dieses Verdienst kann Deutschland für sich in Anspruch nehmen: Europa ist sich seiner Pflicht nicht bewusst geworden. Ungleich bedrohlicher als vor sieben Jahren steht heute diese Pflicht vor allen, die den Untergang in die Barbarei aufhalten wollen. Die Zeit ist gekommen, den Plan hervorzuholen, den Benesch vor sieben Jahren angekündigt hatte, als ein Schatten des Gespenstes vor der Tschechoslowakei stand, das heute sehr real seine Finger spreizt, sie zu erwürgen. Was steht auf dem Spiel? Rein wirtschaftlich ist es unmittelbar der Handel zwischen Deutschland und der CSR, das sind 20 Prozent des tschechoslowakischen Aussenhandels; mittelbar beinahe der gesamte Aussenhandel der CSR, weil Grossdeutschland die Frachttarife auf fast allen für die CSR wichtigen Verkehrswegen bestimmt. Aber das Problem, das durch den auf die CSR gerichteten Appetit der Naziräuber aufgerollt worden ist, enthält noch mehr: Der Schwerpunkt der tschechoslowakischen Industrie liegt in Böhmen, vor allem im sudetendeutschen Gebiet, und auch der Schwerpunkt der Arbeitslosigkeit liegt dort. Die Industrie in Schussweite, die Arbeitslosen in Propagandaweite der deutschen Nazis, - beides ist gleich gefährlich für den Bestand der Tschechoslowakei. Dies ist der zweite Punkt des Wirtschaftsproblems der CSR. Der dritte Punkt ist der, dass im Lande und ausserhalb Panikstimmung herrscht: Was wird aus der CSR? Sicherheitshalber gibt man ihr keine Aufträge mehr, rückt von ihr ab [1]). Die Wirtschaftstätigkeit stockt. Und nichts wäre besser geeignet, den Staat zum Erliegen zu bringen. Ihn zu schützen und von den deutschen Räubern unabhängig zu machen, kann durch eine Wirtschaftspolitik erreicht werden, die sich folgende Ziele setzt: 1. Die strategische Sicherung des Warenabsatzes a) durch Umstellung auf andere, vor allem östliche Märkte; b) durchUmstellung der Produktion auf hochwertige Erzeugnisse (z. B. Maschinen); c) durch Ausbau des Binnenmarktes, und infolgedessen geringere Abhängigkeit von der Ausfuhr. 2. Die strategische Sicherung der Industrie durch örtliche Verlagerung. 3. Die strategische Sicherung der Bevölkerung gegen politische "Sprengungsversuche durch Beseitigung der Arbeitslosigkeit und Hebung der Massenkaufkraft. Ein Teil dieses Programms kann sehr schnell durchgeführt werden. Deutschland hat bei seiner wirtschaftlichen Durchdringung Südosteuropas gezeigt, wie rasch ein Land seinen Handel mit anderen je nach Bedarf verdoppeln oder halbieren kann, und die Handelsstatistiken weisen auch im Verkehr der einzelnen Länder miteinander derartig grosse Schwankungen auf, dass eine systematische schnelle Umstellung auf keine un- überwindbaren Schwierigkeiten stossen kann. Diejenigen Teile des Programms, die zur Durchführung ihrer Natur nach Zeit erfordern, werden schon dadurch, dass sie überhaupt angekündigt und in Angriff genommen werden, zur Beruhigung beitragen. Wie weit eine Wirtschaftspolitik nach den obigen Grundsätzen überhaupt durchführbar ist, wird der Inhalt der folgenden Untersuchung sein. Die Umstellung des Handels. «Heute, in der ncunundfünfzigsten Minute der elften Stunde, mögen diejenigen, die in den übriggebliebenen Demokratien Europas für die Handelspolitik verantwortlich sind,... innehalten und überlegen, welche wirtschaftlichen Massnahmen ergriffen werden können, um den Ländern Mittel- und Südosteuropas wenigstens einen erweiterten Spielraum zu geben, der es ihnen ermöglicht, hochwertige und strategische Produkte auf Märkten abzusetzen, auf denen es freie Währung gibt.» («Economist» vom 14. Mai 1938.) Vor dem Weltkrieg war Böhmen das Industrierevier der Habsburgischen Monarchie. Die 1919 gezogenen Grenzen schlossen keinen dieser Industrie genügenden Markt an sie an: die GSR hat 15 Millionen Einwohner, gegenüber 51 Millionen im alten Oesterreich. So wurde die CSR gezwungen, Auslandsmärkte zu suchen. Nun ist, verglichen mit 1929, die tschechoslowakische Ausfuhr mengenmässig um 30 Prozent geschrumpft, während der gesamte Welthandel nur um 3 Prozent unter seinem Stand von 1929 steht. Das Problem, wie hier ein Ausgleich geschaffen werden kann, bestünde, auch wenn das deutsche Vorstossen in Mitteleuropa seine Lösung nicht noch dringlicher gemacht hätte. 1. Das Problem der CSR ist ein anderes als das der übrigen südosteuropäischen Länder. Diesen muss dazu verholfen werden, sich durch Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Kräfte von ihrem kolonialähnlichen Stand auf den einer unabhängigen Macht zu erheben. [2]) Die CSR ist industriell und kulturell die am meisten entwickelte Macht des Ostraums und durchaus dazu berufen, an der wirtschaftlichen Entwicklung der Südoststaaten mitzuhelfen. Die Tatsache, dass besonders in den letztvergangenen Jahren nur 10 - —12 Prozent der tschechoslowakischen Ausfuhr nach diesen Ländern gingen, steht nicht im Widerspruch zu dieser Behauptung. In einem Europa, das im Westen viel stärker entwickelt ist als im Osten und dessen Zentrum durch eine faschistisch-imperialistische Achse in Aufruhr versetzt wird, liegen die natürlichen Entwicklungsmöglichkeiten eines Landes wie der CSR unbedingt im östlichen Raum. Die CSR kann den Agrarstaaten zwar keinen Weizen abkaufen - davon hat sie selber genug -—, wohl aber Leinsaaten, Sojabohnen, Mais, Baumwolle, Oel und Erze. Gegenwärtig erbringt Deutschland den Beweis, dass man die Produktion mancher dieser Waren im Südosten fördern kann. Dafür kann die CSR Elektrizitätswerke bauen [3]), Industrieanlagen errichten, sie kann Maschinen liefern und allgemein die wirtschaftliche Erschliessung unterstützen. In dem Masse, wie diese fortschreitet, wird auch die wirtschaftliche Umstellung der CSR selber voranschreiten müssen. Mehr und mehr wird sie von der Textilindustrie, die heute noch 25 Prozent der Ausfuhr stellt, übergehen müssen zu der Produktion von Gütern, mit denen die neuen Industrien Südosteuropas nicht so leicht konkurrieren werden. Wenn sie das tut, wird die Industrialisierung Südosteuropas für die CSR nicht die Aufziehung neuer Konkurrenten, sondern den Ausbau eines neuen Marktes bedeuten. Um eine solche Entwicklung zu erleichtern, sollten die Handelsabkommen mit allen Oststaaten einer Revision unterzogen werden; in vielen Fällen wird es zunächst notwendig sein, Naturalaustausch-Abkommen zu treffen. Sobald wie möglich sollte ein Regional-Zollabkommen im Ostraum getroffen werden, wie die CSR es bereits anstrebt; die Zollver- — günstigungen dieses Abkommens dürfen nicht der Meistbegünstigungsklausel unterliegen [4]). 2. Russlands Einfuhr aus der CSR nahm bis Ende 1936 rasch zu, machte allerdings auch in diesem Jahre nur 3,2 Prozent der tschechoslowakischen Ausfuhr aus. Die GSR hatte nämlich die Russenlieferungen durch Kredite unterstützt. Nach Erschöpfung dieser Kredite sackte der Handel wieder ab. «Ueber unsere Beziehungen zur Sowjet-Union», sagte Krofta in seiner Rede über die Aussenhandelslage im Jahre 1937, «kann ich nichts Neues berichten. Unsere Ausfuhr ist zurückgegangen im Vergleich zu 193G, da die der Sowjet-Union gewährten Kredite erschöpft worden sind.» - Es bedarf wohl keiner Erläuterungen, dass es im politischen Interesse der Sowjet-Union liegt, den tschechoslowakischen Export zu unterstützen, auch wenn ihr dabei keine Vorzugsbehandlung zuteil wird, - und dass die Sowjet-Union in der Lage ist, der CSR mehr als 3 Prozent ihrer Ausfuhr abzunehmen. Dies ist umso wichtiger, als der Verkehr mit Russland nicht den gleichen verkehrstechnischen Schwierigkeiten unterliegt, wie derjenige mit den Westmächlen; um diesen tschechoslowakische Waren zu liefern, lässt sich der Weg über Deutschland nur schwer vermeiden. 3. Für viele Waren lässt er sich aber vermeiden. Seit Deutschland die CSR von drei Seiten umklammert, ist die Eisenbahnlinie, die über Ostrava durch Polen nach Gdingen führt, wieder in Erinnerung gebracht worden. Die GSR hat bereits ein Konsulat in Gdingen errichtet und Verhandlungen mit der polnischen Regierung begonnen. Der politische Nebengewinn dieses Umweges besteht darin, dass die polnische Regierung, verlockt durch die Aussicht, Transitland der tschechoslowakischen Ausfuhr zu werden, jetzt eine weit freundlichere Haltung zur CSR einnimmt als noch vor kurzer Z,eit, und wahrscheinlich wird nicht nur der Transit durch, sondern auch der Handel mit Polen zunehmen. 4. Frankreich hat aus Oeslerreich viele Waren bezogen, die es auch aus der CSR beziehen könnte; es hat durch Handelsverträge die österreichische Ausfuhr begünstigt. Da diese Hilfe jetzt Oesterreich nichts mehr nützt, sollte die französische Regierung sofort an die Revision des im Februar mit der CSR abgeschlossenen Vertrages gehen, nicht nur, um viele für die CSR ausgesprochen ungünstige Bestimmungen daraus zu entfernen, sondern um systematisch einen möglichst grossen Teil der französischen Einfuhr von der CSR anstatt von Deutschland zu beziehen. Dies kommt in Frage zum Beispiel für Glas, Porzellan, Leinen- und andere Textilwaren, Konfektion, Häute, Papier und Zellulose. Ferner sollte durch Propaganda und besondere Erleichterungen, vor allem in Frankreich, England und Amerika, versucht werden, einen Teil des Touristenverkehrs statt nach Deutschland nach der CSR zu lenken. Wenn die Naziregierung den Besuch tschechoslowakischer Bäder durch Deutsche verhinderte, ginge diesen ein sehr erheblicher Teil ihres ausländischen Fremdenverkehrs verloren. Im Jahre 1937 hat Frankreich insgesamt 3,8 Prozent der tschechoslowakischen Ausfuhr abgenommen und steht damit erst an neunter Stelle in der Ausfuhrstatistik der CSR. Angesichts der politischen Bedeutung der CSR für das französische Bündnissystem, zeigt diese Zahl in erregender Weise, wie es die «statischen» Regierungen bisher versäumt haben, ihre Politik wirksam ökonomisch zu unterbauen - eine Unterlassung, an der Europa zu Grunde geht, wenn sie nicht im letzten Augenblick noch behoben wird. Denn auch die friedliebendsten Völker können nicht von Bündnisverträgen und Rüstungsanleihen leben. Diejenigen, die von der Ausfuhr leben wollen, werden viel leichter Käufer finden, wenn sie nach Deutsch- — land, England oder Amerika gehen, als wenn sie sich an den Bündnispartner Frankreich wenden. Diese Situation zu ändern, auch wenn es Opfer kostet, sollte heute eine der ersten politischen Forderungen des französischen Aussenministers sein. Die USA, die bereits nahezu 10 Prozent der tschechischen Ausfuhr aufnehmen, haben zu Beginn dieses Jahres einen Handelsvertrag mit der CSR abgeschlossen, der eine weitere Erhöhung des amerikanischen Anteils erwarten lässt. Die Stärkung des Binnenmarktes. Wenn es demnach im Rahmen eines Planes zur wirtschaftlichen Emanzipierung Südosteuropas von Deutschland keine unlösbare Aufgabe zu sein scheint, den Aussenhandel der CSR auf die Höhe zu bringen, so sollte doch nicht hier allein das Schwergewicht des neuen Wirtschaftsprogramms liegen; denn solange wichtige Industrien mit dem grössten Teil ihrer Produktion auf die Ausfuhr angewiesen sind (die Glasindustrie mit 75 Prozent, die Zuckererzeugung mit 65 Prozent), unterliegt die ganze Wirtschaft in grossem Masse den Konjunkturschwankungen auf dem Weltmarkt. Besondere Bedeutung erhält daher die Stärkung der Massenkaufkraft im Lande und die Umstellung der Produktion auf Waren, die im Inland verkauft werden können. Nicht nur aus strategischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen sollten hierbei die östlichen Teile der CSR besonders berücksichtigt werden, was natürlich sofort zur Entlastung des Arbeitsmarkts in den westlichen Gebieten beiträgt. Während nämlich das Deutsche Institut für Konjunkturforschung (im Wochenbericht vom 4.5.38) das Signal gab zu einer Pressekampagne, die versuchte, anhand der Arbeitsiosenstatistik nachzuweisen, dass die Sudetendeutschen die Stiefkinder der CSR seien, wird in den vom Reichs- und Preussischen Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft herausgegebenen «Berichten über Landwirtschaft» (Band 2J, S. 767 f.) festgestellt, dass die Kaufkraft in der Slowakei und in Karpathorussland um 40% unter derjenigen der übrigen Teile der CSR liege; durch Ausgleichung dieser Differenz könne die Kaufkraft der Bevölkerung um 2 bis 3 Milliarden Kc (tschechische Kronen) gesteigert werden. Durch Beschäftigung der rund 500 000 Arbeitslosen könnte die Kaufkraft der tschechischen Bevölkerung um weitere 2—3 Milliarden Kc erhöht und damit auch die Wirtschaftsnot in den deutschen Gebieten gelindert werden, was als Gegengewicht gegen die deutsche Hetzpropaganda besonders wichtig ist. Die für beides nötigen Massnahmen gehen mit denen für die Umstellung der Ausfuhr erforderlichen Hand in Hand. Es handelt sich hierbei um: a) Ausnutzung der ausbaufähigen Wasserkräfte der Slowakei und die Verwendung der so gewonnenen Elektrizität in der Landwirtschaft und den neu zu errichtenden Industrien [5]). b) Flussregulierungen zur Bewässerung und Urbarmachung grosser Landstrecken in der östlichen Slowakei, Wasserzufuhr von der oberen Moldau zur Oder und Elbe, die jetzt zeitweise wegen Wassermangels für die Schiffahrt unbrauchbar sind. c) Bau des Elbe-Oder-Donau-Weichsel-Kanals, der die CSR in den Mittelpunkt eines neuen Osteuropäischen Verkehrsnetzes stellen würde [6]). — d) Errichtung neuer Industrien in den mittleren und östlichen Provinzen denen sowohl die Elektrifizierung als auch die neuen Wasserstrassen zu gute kommen. Dies sollen einerseits solche Industrien sein, die für die Ausfuhr geeignete Waren herstellen, andererseits solche, die die CSR vom Aussenhandel unabhängiger machen. (Z. B. werden bereits Zellwoll-Fabriken gebaut, weil dadurch gewisse Textilwareii verbilligt werden können.) Gelernte Arbeiter aus den westlichen Provinzen können in den neuen Industrien Arbeit finden, Arbeiter mancher Industrien müssen umgeschult werden. Soweit die CSR in technischer Hinsicht hinter den Westmächten zurücksteht, sollen diese, vor allem Frankreich, ihr für den Industrieausbau Hilfe zuteil werden lassen. e) Förderung des Genossenschaftswesens in der Landwirtschaft zur Anwendung moderner Produktions- und Absatzmethoden. Die bereits bestehenden landwirtschaftlichen Beratungsstellen müssen so ausgerüstet werden, dass sie dieser Aufgabe genügen können. Dadurch kann sowohl der Wohlstand der Landbevölkerung erhöht, als auch die Lebenshaltung in der Stadt verbilligt werden. f) Förderung des Häuserbaus in den Städten. 17 Prozent der Wohnräume in den Städten sind von mehr als drei Personen bewohnt. Dadurch, dass der hier zum Ausdruck kommenden Wohnungsnot abgeholfen wird, kann gleichzeitig ein konjunkturpolitisch wichtiger Wirtschaftszweig angekurbelt werden, wobei nicht nur Bauarbeiter beschäftigt, sondern auch Mieten gesenkt werden. Die Finanzierung. Es bleibt zu erörtern, wie solche Projekte finanziert werden können. Solange Arbeitskräfte und Produktionsmittel brachliegen, drängt sich auf Grund der deutschen Erfahrung die Ansicht auf, dass man die Bedeutung des Finanzierungsproblems leicht überschätzen kann. Da aber der Prager Regierung das Zwangsmittel des Terrors fehlt (und sie es zum Glück auch nicht anstrebt!), und da die tschechischen Kapitalisten angesichts der politischen Unsicherheit mit der Einsetzung ihrer Reserven zögern werden, wird es notwendig sein, dass auch Frankreich der GSR Finanzhilfe zuteil werden lässt; wie die Dinge liegen, werden tschechoslowakische wie französische Kapitalisten wohl nur bei einer Art Rückversicherung in London oder New York Kapital in erheblichem Umfang hergeben. Natürlich könnte man versuchen, die tschechoslowakischen Kapitalisten zu zwingen, dem Staat Mittel zur Verfügung zu stellen; damit würde man aber das Signal geben zu einer Massenkapitalflucht, wie man sie sich in einer so gespannten Situation kaum leisten kann. Nachdem Frankreich etliche Milliarden für den Aufbau der tschechischen Rüstungsindustrie und die Bewaffnung der Oststaaten ausgegeben hat, muss es nun dazu gebracht werden, die strategisch nicht minder wichtige wirtschaftliche Rüstung zu ermöglichen, ohne die alle bisherigen Anleihen und Investitionen leicht überhaupt verloren gehen können! Eine Erhöhung der öffentlichen Schuld der CSR erscheint umso weniger bedenklich, als nicht nur die allgemeine Finanzlage des Landes ziemlich gesund ist, sondern auch die Verschuldung pro Kopf der Bevölkerung geringer ist als in allen anderen Donaustaaten [7]). Wir halten es für günstiger, wenn die erforderliche Finanzhilfe von Frankreich gegeben wird als von England, weil bei Frankreich in grösserem Masse als bei England damit zu rechnen ist, dass seine politischen Interessen mit denen der CSR parallel laufen, und also die Gefahr geringer ist, .dass politischer Druck die Kredite begleitet. Im übrigen haben auch, Zeitungsmeldungen zufolge, die britischen Minister sich ziemlich ablehnend gezeigt, als die französische Regierung versuchte, ihre Unterstützung für einen neuen Donauplan zu gewinnen [8]). * Einen Arm in deutsches Industriegebiet, den anderen nach Russland hingestreckt, ist die Tschechoslowakei eine Brücke von Westen nach Osten. Wird auf ihr der industrielle Fortschritt und wenigstens ein bescheidenes Mass an Freiheit von Westen nach Osten getragen werden? [1]) Die Prager «Wirtschaft», vom 14. Mai 1938, berichtet, dass die CSR auf der diesjährigen Leipziger Messe ausserordentlich erfolgreich gewesen sei. Aber angesichts der österreichischen Ereignisse habe man hinterher doch gezögert, die üblichen Aufträge folgen zu lassen. [2]) Wie diese Entwicklung planmässig durchgeführt werden kann, wird demnächst hier dargelegt werden. [3]) Was die Skodawerke z. B. in Bulgarien bereits tun. [4]) Die USA, die allgemein eine gewisse Bereitwilligkeit zeigen, der CSR beizustehen, scheinen bereit zu sein, diese Bedingung anzuerkennen, und also Vorteile, die die GSR mitteleuropäischen Staaten gewährt, nicht auch für sich in Anspruch zu nehmen. Es müsste darauf hingewirkt werden, dass auch andere Grossmächte sich so verhalten. [5]) Nach Dr. Joseph Legge: «Grundsätzliches und Tatsächliches zur Elektrizitätswirtschaft Europas» sind Wasserkräfte zur Erzeugung von l Million KW in der CSR ausbaufähig, von denen die Hälfte in der Slowakei und 220 000 an der Moldau liegen. [6]) Der Plan, ein solches Kanalsystem zu bauen, ist bereits von der ungarischen und später von der tschechischen Regierung wiederholt erörtert worden. Seine technischen und ökonomischen Möglichkeiten werden in dem von Elemer Hantos 1929 herausgegebenen Sammelband: «Mitteleuropäische Wasserstrassenpolitik» einsehend erörtert. Es handelt sich um drei Kanalarme: Pardubic- Prerov (164 km), Prerov-Moravska-Ostrava (91 km) und Prerov-Devin (161 km), der dann durch eine Verlängerung mit der Weichsel verbunden werden kann. Die Kosten sind 1928 auf 3,3 Milliarden Kc geschätzt worden, die Bauzeit auf etwa zehn Jahre. Nach den genannten Schätzungen würden die späteren Einnabmen des Kanals ausreichen, um Instandhaltung, Zinsendienst und Tilgung zu decken. - Der tschechoslowakische Fürsorgeminister, Necas, hat kürzlich die Bedeutung des Oder-Donau-Kanals in einer Broschüre über Arbeitsbeschaffung besonders hervorgehoben. [7]) Vergleiche Elemer Hantos: «Die Neuordnung des Donauraumes». Berlin 1935. [8]) Vergleiche z. B. «Manchester Guardian» vom 30. April 1938.