Der untenstehende Artikel von Hilde Meisel erschien in der Nr. 1 (Januar), Jg. 11. 1936, S. 13 - 16 der "Sozialistische Warte" unter dem Namen Hilda Monte. Entnommen ist er dem Archiv der Sozialistischen Warte auf http://deposit.ddb.de/online/exil/exil.htm Krise und Ausbeutung Von H. MONTE. Der ISK behauptet in seinem Wirtschaftsprogramm, dass Monopole die Ursache der Ausbeutung in der kapitalistischen Wirtschaft sind; er behauptet, dass es notwendig ist, diese Monopole zu beseitigen, um eine sozialistische Wirtschaftsordnung herzustellen. Die Durchsetzung der Wirtschaft mit Monopolen isl nicht - — wie heute meist behauptet wird - ein Merkmal erst des sogenannten Spätkapitalismus, sondern die kapitalistische Wirtschaftsordnung war zu keiner Zeit ohne Monopole möglich. Das Klassenmonopol an Produktionsmitteln kam zustande in erster Linie durch die Bodensperre, also durch die Herstellung des Bodenmonopols. Dieses schaffte die Armee von Besitzlosen, die von den Produktionsmittclbesitzern abhängig sind. Die Kapitalisten haben also auf dem Arbeitsmarkt ein Monopol: nur sie können im «rossen Arbeiter beschäftigen! In dem Masse, wie sich der Kapitalismus entwickelte, wurde das Bodenmonopol mehr und mehr durch Industriemonopole (Kartelle) ergänzt, die die Abhängigkeit der Arbeiter steigerten und den Kapitalisten auch auf dem Warenmarkt Monopolstellungen schufen. Auf dem Arbeitsmarkt können die Unternehmer die Löhne drücken, weil stets eine Reservearmee von Arbeitslosen da ist, die dringender auf die Unternehmer angewiesen sind als diese auf sie. Auf dem Warenmarkt können die Unternehmer ihre Preise erhöhen, weil sie durch Kartelle u. s. w. die Konkurrent ausgeschaltet haben. Beide Male wird die Kaufkraft der Massen zu Gunsten der Profite der Unternehmer beschnitten. Hier liegt der Ursprung der Krisen in der kapitalistischen Wirtschaft: Ein grosser Teil des Unternehmereinkommens wird zur Verbesserung und Ausdehnung des Produktionsapparates verwandt, der letzten Endes zur Herstellung von Konsumgütern dient. Deren Absatz ist unmöglich, solange nicht die Kapitalisten entweder die Kaufkraft der Massen hinreichend stärken, damit diese die grösserc Menge von Konsunigütern kaufen können, oder aber selber aufhören, den Produktionsapparat auszubauen, und staüdessen ihren eigenen Verbrauch erheblich steigern, also sehr viel mehr Luxus treiben. Beides ist der weiteren Erhöhung des Profits ab- träglich, beides wird deshalb - jedenfalls in hinreichend grossem Massstabe -— unterlassen; denn wenn auch die Löhne in Zeiten der guten Konjunktur steigen, so doch fast durchweg langsamer als die Preise. Darum stockt schliesslich der Wirtschaftsapparat; die Läger sind mit Waren überfüllt, die keiner kaufen kann oder will. Arbeiter werden entlassen, Maschinen stillgelegt, Unternehmungen, die sich in einer solchen Zeit nicht über Wasser halten können, gehen bankrott. Wie schwierig der dann einsetzende Prozess der Anpassung von Produktion und Preisstand an die Kaufkraft ist, hängt, von dem Masse ab, in dem die Kaufkraft für Konsumgüter durch Lohnsenkungen und Arbeitslosigkeit ge- drosselt oder durch starke Preissenkungen gestärkt wird. Wenn erst die Läger abgebaut sind und infolgedessen auch auf dem Kapitalmarkt eine grössere Flüssigkeit herrscht, wenn durch Preissenkungen die Kaufkraft gerade der Bezieher verhältnismässig fester Einkommen gestärkt ist, entsteht die Grundlage für einen neuen Konjunkturaufschwung. (1) Was die Entstehung der Wirtschaftskrise betrifft, sind wir uns weitgehend einig mit der Ansicht, die Dr. Natalie Moszkowska in ihrer kürzlich (im Michael Kacha Verlag, Prag) erschienenen Schrift: «Zur Kritik moderner Krisentheorien» vertritt. Sie sagt dort: «Die Visuelle der periodischen Wirtschaftsstörungen ist nicht in der Erzeugung, sondern in der Verteilung zu suchen, d. h. nicht im Missverhältnis zwischen den Produktionszweigen, sondern im Missverhältnis zwischen den Einkommen, also nicht in misslungener Disponieruny, sondern in zu gelungener Ausbeutung. (Seite 73.) Der Absatz stockt..., nachdem die Ueberproduktion gewisse, und zwar durchaus nicht enge Schranken überschritten hat. Da der produktive Verbrauch den konsumtiven eine Zeitlang ersetzen kann, macht sich die Ueberproduktion nicht sofort bemerkbar. ...Im Kapitalismus wird... so lange drauflosproduziert - und dies macht das Wesen des Aufschwungs aus - bis sich eine beträchtliche Ueberproduktion einstellt und eine Absatzkrise grossen Umfangs ausbricht. (S. 93/94.) Der technische Fortschritt bewirkt die evolutorisehe Bewegung der Wirtschaft: Die wachsende Ausbeutung, die Hintanhaltung des Massenkonsums bei steigender Arbeitsproduktivität dagegen die oszillatorische (schwankende).» (S. 35.) Die Verfasserin betont mit Recht, dass es weder Kapitalmangel, noch Rationalisierung, noch Planlosigkeit ist, was die Krise verursacht, sondern die durch das kapitalistische Wirtschaftssystem bedingte ungleiche Einkommensverteilung. «Der industrielle Zyklus, der nur der kapitalistischen Wirtschaft eigen ist, wird nicht durch irgendwelche Einrichtungen der Verkehrswirtschaft (d. h. Marktwirtschaft. H. M.} verursacht, sondern lediglich durch diejenige, die die kapitalistische Wirtschaftsform von allen anderen Formen der Verkehrswirtschaft unterscheidet.» (S. 34.) In ihrer Schrift wird die Krise darauf zurückgeführt, dass auf dem Arbeitsmarkt kein Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zustandekommt, sondern dauernd ein Ueberangebot an Arbeitskräften herrscht. Mit anderen Worten: die Krise entsteht, weil die Löhne nicht hinreichend steigen, um zum Kauf der produzierten Konsumgüter zu reichen. Daraus wäre zu schliessen, dass zur Verhinderung von Krisen der Faktor beseitigt werden müsste, der den Ausgleich auf dem Arbeitsmarkt verhindert. Diesen Faktor sieht N. M., wie sie immer wieder betont, in der Existenz des Klassenverhältnisses selber, in der «zu gut gelungenen Ausbeutung». Diese wiederum führt sie, ebenfalls mit Recht, keineswegs auf die Existenz des Marktes selber zurück; denn sie spricht immer wieder von der Möglichkeit einer harmonischen, also ausbeutungs- und daher krisenfreien Verkehrswirtschaft. Warum behauptet sie dann aber, dass es einen Arbeitsmarkt nur im Kapitalismus gibt? (S. 33/34.) Warum kann es in der sozialistischen Wirtschaft nicht einen Arbeitsmarkt geben, einen Arbeits- markt wohlverstanden, auf dem, infolge der Beseitigung des Klassenmonopols die Produktionsmittelbesitzer nicht weniger auf die Arbeiter angewiesen sind als umgekehrt, in der also, wie Franz Oppenheimer sagt, nicht mehr zwei Gesellen einem Meister, sondern vielmehr zwei Meister einem Gesellen nachlaufen? Wenn es Marktwirtschaft gibt, muss es in dieser auch einen Arbeitsmarkt geben. Und dass eine Marktwirtschaft nicht kapitalistisch zu sein braucht, sagt N. M. ja selber. Sie hat aber offenbar keine sehr klare Vorstellung davon, wie eine solche nicht-kapitalistische Marktwirtschaft aussehen würde, weil sie übersieht, dass eine Marktwirtschaft nicht notwendiger Weise eine Wirtschaft der freien Konkurrenz zu sein braucht, und dass der Kapitalismus niemals eine Wirtschaft der freien Konkurrenz gewesen ist. Von jeher hatten in ihm die Unternehmer auf dem Arbeitsmarkt ein Monopol inne, in steigendem Masse haben Einzelne von ihnen ein Monopol auf dem Warenmarkt inne. Und eben diese Monopole sind es, die das Wesen des Kapitalismus ausmachen. Mit ihnen würde die Möglichkeit der Ausbeutung beseitigt werden; denn wenn jeder Arbeiter die gleiche Möglichkeit hat, selber Produktionsmittelbesitzer zu werden, kann kein Produktionsmittelbesitzer ihn mehr ausbeuten. Darum stimmt es nicht, dass die Befürworter der freien Konkurrenz bei der «Identität der Interessen von Kapital und Arbeit landen» müssen (S. 89) - wenn man diesen Ausdruck so verstehen soll, dass in einer Wirtschaft der freien Konkurrenz die Interessen der Kapitalisten mit denen der Arbeiter gleichlaufend seien. In einer Wirtschaft, in der jeder die gleiche Möglichkeit hat, Produktionsmittelbesitzer zu werden, gibt es nämlich überhaupt keine Kapitalisten im heutigen Sinne des Wortes. Darum erstreben auch die Kapitalisten eine solche Wirtschaft der freien Konkurrenz nicht; auch die bürgerlich-liberalen Theoretiker gingen nicht so weit, dem Klassenkampf auf dem Arbeitsmarkt zu Leibe zu rücken! Diese Theorie einer sozialistischen Marktwirtschaft, wie der ISK sie vertritt, ist bekanntlich keineswegs allgemein anerkannt in der sozialistischen Bewegung. Sich mit ihr zu befassen, sie gerade anhand der Analyse der Wirtschaftskrisen und auch der Erfahrungen in der Sowjet-Union auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen, sollte keinem Sozialisten überflüssig erscheinen. Man würde eine solche Auseinandersetzung oder mindestens einen Hinweis auf ihre Bedeutung umso mehr in einem Buche, wie dem von N. M. erwarten, als hier die Verfasserin selber schon den Schluss zieht, dass die freie Konkurrenz nicht für Krise und Ausbeutung verantwortlich ist. Stattdessen finden wir dort die in diesem Buch durch nichts gerechtfertigte Behauptung: «Damit wollen wir nicht der freien Konkurrenz das Wort reden, sie etwa in der sozialistischen Wirtschaft wünschen.» (S. 89.) Warum nicht? Warum schliesst die Verfasserin die Möglichkeit, dass eine Wirtschaft der freien Konkurrenz im sozialistischen Staat erstrebenswert sein könnte, ohne weitere Untersuchung aus? Hier liegt ein Dogmatismus zu Grunde, der leider in dem Buch immer wieder auftritt: Was Karl Marx gesagt hat, bedarf keiner Erörterung, keiner Begründung - wenn etwas seiner Lehre widerspricht, ist es bereits dadurch als falsch gekennzeichnet. Die Lehre Franz Oppenheimers wird einfach dadurch erledigt, dass ihr die abweichende Ansicht von Karl Marx gegenübergestellt wird. Auch sonst strotzt das Buch von unbegründeten oder gar sich selber oder der Erfahrung widersprechenden Behauptungen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Es wird behauptet: Der «Preismechanismus versagt nur auf dem Arbeitsmarkt. Selbst in der Hausse steigen die Löhne nicht erheblich». (S. 32.) Der Preismechanismus versagt hier keineswegs; sondern auch in der Hausse gibt es stets eine so grosse Reservearmee von Arbeitslosen oder von Landarmen, die beim geringsten Steigen der Löhne in die Städte strömen, dass das Angebot die Nachfrage stets beträchtlich übersteigt, also nie eine starke Knappheit an Arbeitern eintritt. Darum bewirkt gerade der Preismechanismus, dass die Löhne nicht erheblich steigen. - Weiter heisst es: «Der technische Fortschritt (ist) die Voraussetzung der steigenden Ausbeutung.» (S. 35.) Ein Gegenbeispiel: die deutschen Arbeiter werden unter Hitler weit starker ausgebeutet, als vorher. Welcher technische Fortschritt hat dies hervorgerufen? «Der Arbeiter bekommt stets nur ein Existenzminimum. Wohl steigt im Hochkapitalismus das Existenzminimum mit dem technischen Fortschritt.» (S. .'52.) 14 Seiten weiter heisst es, dass nach der Verbilligung der Konsunigüter, auf Grund des technischen Fortschritts auch der Lohn sinkt. Steigt dann aber des Existenzminimum ? Wie ist überhaupt zu erklären, dass Arbeiter, deren Exisenzminimum offenbar das gleiche ist verschieden hohe Löhne beziehen, wenn die Arbeiter stets nur das Existenzminimum bekommen? - — «Die Profite sind dann am höchsten, wenn ... weder sachliche noch persönliche Produktionsmittel brachliegen.» (S. 17.) Wo bleibt dann aber die Reservearmee von Arbeitslosen als Grundlage des Kapitalismus, von der Marx spricht? Und warum bilden die Kapitalisten dann Kartelle, um die Preise zu erhöhen, obwohl sie wissen, dass dadurch die Nachfrage nach ihren Waren sinkt, sie also Arbeiter entlassen und Maschinen stillegen müssen? - Oder es wird behauptet, es würde lediglich zum Erwerb von Produkionsmitteln gespart. (S. 15 u.a.) Dient nicht ein grosser Teil der Ersparnisse dem Bau von Wohnhäusern. z.B. Eigenheimen, der Kranken- oder Altersversicherung u.s.w.? Derartige unbegründete und unbegründbare, dogmatische und widerspruchsvolle Behauptungen nehmen dem Buch den wissenschaftlichen Charakter, den es haben müsste, um seinem Thema gerecht zu werden und dem Zweck, den ein solches Buch, von Soziaüsten geschrieben, sich setzen muss: die Klärung der sozialistischen Theorie und damit die Einheit der Sozialisten zu fördern. (l) Eine vor allem anhand der Laue in Deutschland angestellte Untersuchung über die Entstehung und den Verlauf der Wirtschaftskrise sowie ein Programm zu ihrer Behebung befindet sich in der 1932 vom ISK veröffentlichten und uoch immer aktuellen Schrift «Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit.»